Euer Bestand ist nicht geschützt
Was schützt den Bestand?
In den Jahren vor 2002 herrschte bei Gewerkschaften und WDR gespannte Erwartung. In Tarifverhandlungen wurde DER BESTANDSSCHUTZ neu verhandelt. Das klang schon verheißungsvoll, fast wie Kündigungsschutz. Zehn Jahren danach ist Ernüchterung eingekehrt. Es sind hier und da Ausgleichszahlungen geflossen.Aber wenn die Regelungen den Bestand des Auftragsvolumens auch nur einer Freien Mitarbeiterin geschützt haben, ist mir das bisher nicht zu Ohren gekommen. Die Betreffende möge sich bitte bei mir melden; dann leeren wir darauf ein Piccolöchen. Oder vielleicht sogar eine Magnum-Flasche.
Für Freie Mitarbeiterinnen beim WDR gibt es keinen Kündigungsschutz. Es gibt da nichts zu kündigen, es gibt lediglich eine Serie von Einzelverträgen. Der Sender hat das Recht, keinen neuen Vertrag abzuschließen. In den zehn Jahren wurden hunderte Ankündigungsbriefe darüber geschrieben, dass regelmäßige Aufträge wegfallen werden – vor allem bei Programmreformen. Hunderte Freie Mitarbeiterinnen fielen in demselben Zeitraum in Ungnade bei ihren Auftraggeberinnen, ihre Hauptabnehmerinnen gingen in Pension, ihre Sendung wurde eingestellt, man hielt ihre Arbeitsweise für nicht mehr opportun, man ließ sie einfach schmoren oder servierte sie im Namen der Verjüngung des Programms ab. Oder die Freien Mitarbeiterinnen wandten sich selbst neuen Aufgaben zu, innerhalb oder außerhalb des WDR. Das alles entweder lautlos oder auch mit einem Krach.
Die enorme Flexibilität der Freien Mitarbeiterinnen, die sich außerhalb und innerhalb des Senders neue Arbeitsbereiche erkunden und in sie einarbeiten, ist es, die dem Sender seine Beweglichkeit ermöglicht – und Zahlungen aufgrund der Bestandsschutzregeln zu einem seltenen Ereignis macht – für derzeit zwei bis drei Freie im Jahr.
Ohne Alternativen
Erfahrungsgemäß versuchen nur diejenigen Freien, die innerhalb des WDR keine Alternativen für weggefallene Auftraggeber sehen oder die von der Zusammenarbeit mit diesem Sender genug haben, „Bestandsschutz” in Anspruch zu nehmen. Fette Abfindungen werden bei den abservierten Frustrierten nur in wenigen Fällen Realität. Dafür sorgen die vielen Kautelen in den Bestandsschutzparagrafen, die mögliche Ansprüche auf ein Minimum abschmelzen oder ganz zunichte machen. Vereinfacht gesagt: Einen gewissen Schutz genießt die Freie Mitarbeiterin, die sich fünf, zehn, zwanzig Jahre lang mit immer derselben Tätigkeit an den Sender gekettet hat. Und selbst sie kann auf schleichende Art abserviert werden – wer die Regelungen gegen den Strich liest, weiß, wie das bewerkstelligt wird.
Was ist Sicherheit?
Doch bedeutet es Sicherheit, sich an den Sender ketten, womöglich um „in den Bestandsschutz zu kommen”? Sicherheit buchstabiert sich für Freiberuflerinnen normalerweise anders: Viele Auftraggeber haben, um nicht von einem abhängig zu sein. Die gleiche Tätigkeit, dasselbe Produkt an unterschiedliche Kunden verkaufen und die entstehenden ökonomischen Vorteile nutzen. Mit Flexibilität auf Marktveränderungen reagieren.
Aber solcherart konstruierte Sicherheit ist in Medienkonzernen schwierig. Das Organisationssystem funktioniert anders, und der WDR bildet da keine Ausnahme. Flexibilität, gerne – aber nur nach Vorgaben und Bedürfnissen des Auftraggebers. Neue Märkte erschließen, immer – aber für den Auftraggeber möglichst ständig und ausschließlich verfügbar sein. Dasselbe Produkt, dieselbe Vorarbeit mehrfach nutzen, klar – aber dann möchte der WDR doch bitte alle Rationalisierungsvorteile abschöpfen.
Mittelbare Effekte des Bestandsschutzes
Und doch gibt es auch einige positive Effekte der Bestandsschutzregelungen.
Mit dem Inkrafttreten der Bestandsschutzregeln lockerte der WDR die Beschäftigungseinschränkungen. Die programmgestaltenden Autorinnen, Reporterinnen und Moderatorinnen – die größte Gruppe unter den Freien Mitarbeiterinnen – dürfen nun an bis zu 60 Tagen in sechs Monaten für den Sender tätig sein. Zehn Tage pro Monat, das ist schon fast Vollbeschäftigung angesichts des dabei nicht mitgezählten Aufwands, den die Freien Mitarbeiterinnen für ihre Arbeit treiben müssen. Die höhere „Prognose” macht es leichter als zuvor möglich, ohne Sorge vor einer Beschäftigungssperre in jedem Jahr die Mindestzahl an Beschäftigungstagen für das tarifliche Urlaubsentgelt zu erreichen.
Die Abteilungen des WDR, die eine oder mehrere Freie Mitarbeiterinnen nicht mehr weiter beschäftigen wollen oder können, müssen aufgrund der Bestandsschutzregeln zumindest in Betracht ziehen, dass dies den WDR etwas kosten könnte. Das kann sie zu mehr Sorge, Nachdenken und Aufmerksamkeit im Umgang mit diesen Freien anhalten. Auf solche „weichen” Effekte des Bestandsschutzes könnten auch die Freien Mitarbeiterinnen mehr setzen. Wenn sie mal wieder erst zwei Wochen vor dem Relaunch der Sendung erfahren, dass sie nicht mehr im Moderationsteam sein sollen, dann können sie mehr oder weniger freundschaftlich die Redaktionsleitung darauf hinweisen, dass dies den WDR etwas kosten könnte. Vielleicht findet sich dann eine andere Lösung, womöglich in einer anderen Abteilung. Langjährige Mitarbeiterinnen können deswegen ein Gespräch auf der Direktorinnenebene des Bereichs verlangen, in dem nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten gesucht wird. (§16 Abs 3 Sozial- und Bestandsschutz-Tarifvertrag)
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