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Was ist ein angemessenes Honorar?

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… die Daten werden nämlich noch aktualisiert, aber die Aussagen stimmen

 

Wow! 200 oder 300 Euro für einen mittellangen Radiobeitrag, über 500 Euro für einen TV-Bericht im Regionalprogramm, 1.747 Euro mindestens für einen Beitrag in einem anderen WDR-Fernsehmagazin! Einer jeden, die gerade von der Uni kommt und mit dem Gegenwert dreier Radioberichte einen Monat leben musste oder die als Journalistin für 30 Cent pro Zeile Artikel für Lokalzeitungen schreibt, muss der WDR wie das Paradies erscheinen. Auf zum Sender, als Freie „bewerben“, den Fuß in die Tür bekommen. Preiset den Non-Profit-Sektor und die Rundfunkgebühren! Holen, was zu kriegen ist, nicht nach mehr Geld fragen und glücklich sein. Wir machen nicht nur ImM, “Irgendwas mit Medien“, sondern sogar iSmM, „irgendwas Schönes mit Medien“, und das bezahlt – geil!
Woher aber dann diese große Unzufriedenheit unter Freien Mitarbeiterinnen, wenn sie schon länger dabei sind? Weil sie nach einer Weile wissen, welcher Aufwand hinter den Leistungen steckt, die sie liefern – und weil die Bedingungen seit Jahren in den allermeisten Bereichen schlechter werden und die Bezahlung stagniert, bei vielfach steigendem Aufwand.
Die “gleiche Augenhöhe“, die Freie Mitarbeiterinnen im Kontakt mit vielen ihrer Auftraggeberinnen vermissen, hat etwas mit Umgangsformen zu tun, aber auch mit angemessener Bezahlung. Die heute nur leicht über dem Minimum von 1.747 Euro liegenden Honorare für den TV-Magazinbeitrag sind im besten Fall seit 15 Jahren gleichgeblieben, und es wird mehr dafür erwartet – unter anderem ein Begleittext fürs Web.1 Den realen Verlust an Kaufkraft spüren die betroffenen Freien Mitarbeiterinnen schmerzlich.
Erst kürzlich: Telefonat mit einer Redakteurin. Diskussion über einen Radiobeitrag, der standardmäßig mit 290 Euro vergütet wird. Es geht um eine Reportagereise, 500 km weit. “Ich bin für die Aufnahmen an dem Tag 19 Stunden unterwegs, dann noch das Manuskript und die Produktion. Wie wäre es, wenn Sie dann mit dem Honorar Richtung Obergrenze gehen?” Antwort der WDR-Redakteurin: “Das geht leider nicht. Wir haben hier in der Redaktion unsere eigenen Sätze, und es wäre ungerecht gegenüber anderen, die für dasselbe Geld eine ganze Woche recherchieren.” Wenigstens einen “W”-Vertrag sagt sie zu – damit wäre zumindest 50 bis 75 Prozent Wiederholungshonorar fällig, wenn andere Sendungen oder Sender das Stück übernähmen. Eine Hoffnung, die trügt: Zu einzigartig ist die Machart der Berichte gerade in dieser Sendung – nicht übernahmefähig. Und außerdem finde ich neben der Arbeit an dem Beitrag keine Zeit, auch noch andere Redaktionen zu akquirieren.
Die Rechnung über den Stundensatz sieht am Ende so aus: Vier Stunden Vorrecherche, Akquise, Organisation der Reportagereise. 19 Stunden Reise und Aufnahmen. Drei Stunden lang die Aufnahmen abhören und verschriftlichen, uff, das ging ja schnell. Konzept und Nachdenken: eine Stunde. Manuskript schreiben: drei Stunden – ziemlich flott. O-Töne vorschneiden: dank Routine nur eineinhalb Stunden. Redaktionelle Abstimmung: eine halbe Stunde, aber nur, weil alles schon gut saß. Sprachaufnahme und Produktion, mit Anreise zum Sender: zwei Stunden. In insgesamt 34 Stunden Arbeit kommt ein von der Auftraggeberin gelobtes Stück heraus. Politische Reportage mit durchgehender Atmo und 18 kurzen O-Tönen in vier Minuten. Für einen Stunden-Umsatz von 8,50 Euro. Die Redakteurin sagt, es wäre ungerecht gegenüber den anderen, mehr zu zahlen.
Später kommt der Honorarvertrag – es werden mir 340 Euro für den 34-Stunden-Beitrag gewährt. Ein kleines Signal für mehr Demut: “Ich lasse zwar nicht mit mir verhandeln”, signalisiert die Redakteurin nach Gutsherrinnenart, “aber ich kann auch ein bisschen großzügig sein.”
Selbst Schuld. Ich hätte den Auftrag einfach ablehnen müssen. Ob es nun eine Woche oder 34 Stunden dauerte, spielte letztlich keine Rolle.
Wer über hohen Aufwand und geringe Bezahlung klagt, bekommt oft das Argument zu hören, man müsse eine Mischkalkulation zwischen den aufwändigen und den weniger aufwändigen Arbeiten machen. Im Schnitt kommen man dann schon auf seine Kosten. Doch wahr ist eher, dass die bestbezahlten Beiträge vielleicht gerade mal angemessen honoriert sind. Die gleichen 290 Euro zahlte die Redaktion auch für einen binnen vielleicht sechs Stunden komplett aufgenommenen, schnell und pfiffig geschriebenen aber standardmäßig montierten aktuellen Bericht. Für den läge der Stunden-Umsatz so bei 50 Euro. Es kann aber auch passieren, dass die Redakteurinnen für eben diesen Bericht dann genau deswegen so gerade das tarifliche Minimum von 200 Euro anweisen will – das machte dann noch 30 Euro Stundenumsatz. Doch gerade für das Bohren der dünneren Bretter beschäftigt man die freien Autorinnen nicht, sagte mir eine Redakteurin: „Du bringst Originaltöne von nur einem O-Ton-Geber?2 Dann machen wir doch lieber ein Live-Telefonat mit dem.“
Auf den ersten Blick ist der Fernseh-Magazinbeitrag für ein tarifliches Mindesthonorar von rund 1.747 Euro lukrativer als die Radiogeschichten. Doch der Aufwand für diese durchformatierten Werke ist erheblich höher und der Akquiseaufwand beträchtlich – sie werden kaum noch seriell in Auftrag gegeben. Allein die Recherche und Formulierung der Angebots-Exposés braucht eine ganze Weile. Von denen wird dann vielleicht jedes Dritte eingekauft. Enorm viel Zeit geht drauf mit der Recherche und Planung der Dreharbeiten. Verlangt wird beispielsweise eine Identifikationsfigur, ein bestimmter Protagonist, dessen Geschichte das Thema gut beschreibt. Hat die Autorin diesen Menschen gefunden, wird er womöglich abgelehnt, weil er nicht jung, nicht hübsch, nicht unterhaltsam oder nicht redegewandt genug ist. Oder weil seine persönliche Story nicht genau das beschreibt, was eingeplant war. Für einen Magazin-Beitrag habe ich beispielsweise in 2011 an elf Tagen gearbeitet. Zuvor hatte es Wochen gedauert, bis die Redaktion sich zu der Auftragsvergabe entschließen konnte.
Zudem: Umsatz ist nicht Gewinn, es gibt Vorkosten und Overhead-Kosten. Allzu häufig wird vergessen, dies einzukalkulieren. Dazu mehr weiter unten.
Wie kalkuliert also eine Freie Mitarbeiterin ein Honorar, von dem sie angemessen leben und arbeiten will?
Maßstab Lebensstil
Die Frage lautet: Wie viel brauche ich als Honorar, damit ich so gut leben kann, wie ich es möchte?
Dafür notiere ich erst einmal, wie viel von meinem (vielleicht fiktiven) beruflichen Konto auf mein Privatkonto monatlich überwiesen werden müsste. Einmalige Ausgaben nicht vergessen und auch nicht die Kosten für eine angemessene Altersversorgung, für Gesundheitsfürsorge, für Weiterbildung etc. Auch Rücklagen für den Urlaub und ein Polster, das über auftragsarme Zeiten hilft, gehören auf die Rechnung. Und: Nicht die Umsatzsteuer vergessen, falls sie gezahlt werden muss.
Dann überlege ich, wie viele Stunden ich arbeiten will – oder realistischerweise kann. Eine Vollzeitkraft arbeitet – wenn sie keinen Urlaub hat – rund 170 bis 180 Stunden pro Monat. Workaholics tragen also 250 Stunden ein. Und nicht vergessen: Es gibt viele notwendige Arbeitsstunden, die nicht bezahlt werden. Unbezahlt bleiben Akquise und Selbstorganisation, das Konzipieren und Nacharbeiten, das Auf-dem-Laufenden-Bleiben und die Kundenpflege. Wer herausfinden will, wie groß der Anteil unbezahlter Arbeit ist, führt eine Zeitlang Stundenzettel und wird staunen. Es ist überaus realistisch anzunehmen, dass die Hälfte der Arbeitszeit unbezahlt ist.
Dabei kommt für einen wenig ausschweifenden Lebensstil und eine 40-Stundenwoche zum Beispiel folgendes heraus:

Für ein eher bescheidenes Leben auf unterem Mittelstandsniveau hätten für den oben erwähnten Radiobericht also 34 Stunden zu je 26,16 Euro berechnet werden müssen, insgesamt rund 900 Euro. Für eine freie Programmiererin sieht ein solcher Preis ganz normal aus.3 Sie rechnet nicht nach der Programmzeilenzahl des Codes ab, den sie abliefert. Sie weiß, was sie braucht und was sie wert ist. Medienschaffende indes lassen sich den legitimen Anspruch auf ein gutes Auskommen häufig und viel zu leicht mit Autorenstolz, Belobigung und der Hoffnung auf steigenden Bekanntheitsgrad und daraus vielleicht resultierende Folgeaufträge abkaufen. Auch nach 25 Jahren Arbeit für den WDR tappe ich in die von mir selbst gestellte Falle.
Und wenn der Stundensatz nicht erreicht wird, um das eigene Lebenskonzept durchzuziehen? Mehr arbeiten? Geht eine Zeit lang, wird aber irgendwann gefährlich für die Gesundheit. Kosten sparen? Effektiver arbeiten, beispielsweise Aufträge mit weniger unbezahlter Vorarbeit suchen und damit die Zahl der bezahlten Stunden erhöhen? Oder gleich besser bezahlte Aufträge suchen? Die Branche ganz verlassen?
Das sind einige Möglichkeiten. Was auch immer ihr tun wollt, bitte tut etwas. Und rechnet nach. Damit ihr nicht Arbeit übernehmt, die arm macht. Immer wieder verlassen Freie Mitarbeiterinnen, die das erkennen, das Arbeitsfeld komplett. Das ist einerseits konsequent. Andererseits verfestigt sich im Laufe der Jahre bei den angestellten Vertragspartnerinnen der Eindruck, freie Mitarbeit sei eine Art Durchlauferhitzer-Tätigkeit auf dem Weg zu etwas Besserem. Das sehe ich als jemand, der schon über 20 Jahre auf diese Weise arbeitet, anders: Freie Mitarbeit ist den Angestelltentätigkeiten gleichwertig und sollte deshalb entsprechend gut bezahlt werden.
Maßstab: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit
Angemessene Einkünfte der Freien könnte man auch aus dem berechnen, was eine im gleichen Job beim WDR angestellte Kollegin bekommt. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – eine uralte gewerkschaftliche Forderung. Aber wie berechnet man “gleichen Lohn” bei so unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen wie dem von Angestellten und Freien Mitarbeiterinnen oder Leiharbeiterinnen? Vorsicht: Einfach den Monatslohn angestellter Bekannter durch die Zahl ihrer tariflichen Arbeitsstunden zu teilen, führt dabei in die Irre.
Die nächsten beiden Modellrechnungen bitte nicht missverstehen: Keinesfalls ist die Forderung, dass bei gesicherten und gut bezahlten Arbeitsplätzen im WDR gekürzt werden sollte. Die Gehälter und die anderen Leistungen, die WDR-Angestellte erhalten, sind keine Privilegien, die ihnen gekürzt werden sollten. Aber allzu oft bekommen Freie Mitarbeiterinnen zu hören, es gehe ihnen ja beim WDR vergleichsweise gut. Kurz angebunden wird ihnen dann ihr Honorar genannt, ein paar hundert Euro, manchmal ein paar tausend Euro. Um im Gegenzug zu erklären, warum das nicht so viel ist, fehlt die Zeit. Da muss man dann weit ausholen und den Unterschied zwischen der Bezahlung von Angestellten und von Freien erklären. Um dann zu erklären, was die angemessenere Bezahlung wäre. Wir nehmen uns also hier den Raum, genauer hinzuschauen, es für die Freie auszurechnen. Nicht gegen die Angestellte.4
Erstes Beispiel: Freie Kamera-Assistentin
Eine angestellte Kamera- oder Tonassistentin wird beim WDR mindestens in Vergütungsgruppe IX eingeteilt. Nach zehn Jahren erreicht sie die Steigerungsstufe 55 und sie verdient pro Monat brutto 2.816,72 Euro.6 Wenn sie ein Kind hat, kommen noch 102,10 Euro monatlich drauf. Außerdem 50 Prozent Urlaubsgeld (nicht zu verwechseln mit der Lohnfortzahlung im Urlaub, dieser entspricht das Urlaubsentgelt für Freie Mitarbeiterinnen), 54 Prozent Weihnachtsgeld und eine besondere jährliche Zahlung von 536,90 Euro. Den Wert der betrieblichen ARD-Altersversorgung setzen wir mit 3 Prozent an. Damit kommen wir auf ein Bruttojahreseinkommen von 39.646,89 Euro, bei einer 38,5-Stundenwoche und an 241 Arbeitstagen im Jahr 2012. Macht einen Tagessatz von 159,72 Euro7 für die Angestellte.
Ein solcher Tagessatz ist für die freie Kamera-/Tonassistentin zu niedrig, denn sie bekommt diesen Satz ja nicht an jedem Arbeitstag. Dafür schiebt sie quasi ständig Bereitschaftsdienst, trägt das Risiko, plötzlich nicht mehr beschäftigt zu sein, muss sich auf eigene Kosten selbst fortbilden und sie hat keine Chance, beim WDR gehobene Kameraassistentin zu werden.8 Für all diese Kosten und Risiken setze ich – konservativ – einen Zuschlag von 75 Prozent an. Macht knapp 290 Euro, der nach der Forderung “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit” vielleicht für die freie Kameraassistentin angemessen wäre. Oder 37,39 Euro pro Stunde.
Was aber bekommt sie tatsächlich bezahlt, wenn der WDR sie für einen Tag bucht? Als Leiharbeiterin unter 150 Euro (für die der WDR beim Verleiher rund 215 Euro bezahlt), als Freie mit “Viertagesprognose” rund 180 Euro. Halber Lohn für gleiche Arbeit. Kein schlechtes Geschäft für den Sender.9
Falls sie keinen Anspruch auf WDR-Urlaubsentgelt und Krankengeld erreicht, was wegen der Beschäftigungsbeschränkungen durch die “Prognose” (s. Seite YYY) wahrscheinlich ist, müsste sie mindestens noch einmal rund 15 Prozent mehr verdienen. Macht 337 Euro pro Tag bzw. 43,80 Euro pro Stunde. Und übrigens: Die angestellte Kollegin bleibt nicht lange in Vergütungsgruppe IX sondern wird nach wenigen Jahren auf Gruppe VII hochgestuft, wo sie besser verdient.10
Wer sich bei WDR-Verantwortlichen aber über die unangemessene Bezahlung der Freien beklagt, bekommt vorgehalten, dass andere Auftraggeber ja sogar Tagessätze von nur 80 Euro zahlten – das ist offenbar der Satz, zu dem “Mediengestalterinnen Bild und Ton” bereits zu bekommen sind. Ist es schon so weit, dass der WDR sich mit einem Strich für Tagelöhnerinnen vergleichen muss?
Zweites Beispiel: Freie Autorin / angestellte Redakteurin
Eine Redakteurin beginnt beim WDR in Vergütungsgruppe IV mit einem Grundgehalt von rund 3.300 Euro brutto und hat sich nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit auf 5.100 Euro gesteigert. (“Mit besonderen Aufgaben” (Vergütungsgruppe II) beginnt sie bei 4.400 Euro und liegt nach zwölf Jahren auf 6.300 Euro Grundgehalt.) Als Programmgruppenleiterin oder erste Redakteurin erhält sie zu Beginn rund 5.700 Euro Grundgehalt, zum Ende bis 8.400 Euro (Vergütungsgruppe I). Greifen wir die Einstiegsstufe heraus, die “Viererredakteurin”, die seit zehn Jahren dabei ist und 4.275,32 Euro Grundgehalt bezieht. Mit Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, besonderer jährlicher Zahlung und dem Zuschlag für ein Kind kommt die Redakteurin auf ein Jahresbruttoeinkommen von 59.000,59 Euro, wobei die ARD-Zusatzversorgung wieder mit 3 Prozent eingerechnet ist. Bei jährlich 241 Arbeitstagen inkl. Urlaubstagen ergibt das ein Tageseinkommen für die Angestellte von 281,54 Euro und ein Einkommen für jede einzelne ihrer Arbeitsstunden von 36,56 Euro. Ihre Reisezeit ist Arbeitszeit, und wenn ihr Computerarbeitsplatz zickt, ruft sie den IT-Service des WDR an, während sich die freie Kollegin umso etwas selbst kümmert.
Direkt kontowirksam sind noch ihre Zuschläge. Was über die 38,5-Stundenwoche hinaus geht, kann sie abfeiern oder aufschreiben, mit 25 Prozent Zuschlag. Sie erhält außerdem Zuschläge für vom WDR verlangte Nachtarbeit (25 Prozent), Sonntagsarbeit (50 Prozent) und Arbeit an Feiertagen (100 Prozent).
Wir ahnen also schon, dass ein Tagessatz von 280 Euro, wie ihn die Redakteurin bekommt für eine freie Autorin völlig unangemessen ist, wenn sie gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit will. Denn:
Die Freie hat keinen Kündigungsschutz. Sie trägt das Risiko, ihre Aufträge zu verlieren oder Flautezeiten überbrücken zu müssen.11
Wenn sie länger krank ist, hat sie kein Einkommen mehr.
Sie muss ihre Arbeit selbst organisieren, sich selbst fortbilden, Buchhaltung machen, Aufträge akquirieren, unbezahlte Vorarbeiten leisten.
Wenn sie einen Vorschlag für das Programm erarbeitet, wird das nur bezahlt, wenn und sobald die Idee angenommen und realisiert ist.
Das alles bedeutet: Sie bekommt nur einen Teil ihrer Arbeitszeit vom Auftraggeber bezahlt. Sie trägt – anders als Angestellte – eine Vielzahl an Kosten selbst, für das eigene Büro, den PC, Zeitungen, Bücher, Fortbildung und Schnittsoftware… Kurz: Ihre Einnahmen sind Umsatz, nicht Gewinn.
Ganz unvermeidlich hat sie Leerlaufzeiten und auch Überstunden – weil es für einzeln arbeitende Selbstständige völlig unmöglich ist, die Arbeitskraft zu genau 100 Prozent auszulasten. Wenn es das Produkt erfordert, arbeitet sie auch 140 Prozent, und das zu unmöglichen Tages- und Nachtzeiten. Die vertraglich registrierten Beschäftigungstage spiegeln all das nicht wider. Wenn sie ihre zehn “Prognosetage” (siehe Seite YYY) ausschöpft, ist sie vollbeschäftigt – gemessen an einer “normalen” Angestelltenarbeitszeit oft mehr als das. Es kostet Zeit, neue Jobs zu akquirieren und vorzubereiten, Vorschläge auszuarbeiten, Kontakt zu halten, sich auf der Höhe der Zeit zu halten und den eigenen normalen Bürobetrieb aufrecht zu erhalten.
Im Vergleich zu Freien Mitarbeiterinnen genießen WDR-Angestellte eine Vielzahl von Vergünstigungen: Verlängerte Kündigungsfristen von bis zu 24 Monaten, Wechselschichtzulage, Mehrarbeitszuschläge und Zuschläge für Arbeit an Sonntagen, an Feiertagen und nachts, Kinderzuschlag, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, Anspruch auf Gesundheitsschutz an Bildschirmarbeitsplätzen nach dem jeweils letzten technischen Standard, Rationalisierungsschutz wie z. B. Anspruch auf Umschulung und Weiterbildung, Anspruch auf Teilzeit und auf Rückkehr auf einen Vollzeitarbeitsplatz, Vorruhestandsregelungen, betriebliche Versorgungszuge des WDR und Altersversorgung der ARD, tarifliche Jahreszahlung, Steigerung des Gehaltes nach jeweils zwei Jahren, Trennungsentschädigung, Umzugskostenvergütung, Beihilfen bei Geburt, Krankheit oder Tod in der Familie, ein Jobticket für heruntersubventionierte 29,70 Euro12 als Monatsnetzkarte für den Verkehrsverbund, Kleidergeld, Erschwerniszulagen in niedrigen Entgeltgruppen, Unterstützungszahlung in wirtschaftlichen Notlagen, Arbeitgeberdarlehen zur Wohnungsbeschaffung, eine kostenlose Spezialbrille für Computerarbeitsplätze, unverzinslichen Vorschuss für einen Autokauf, Schutzregeln und Anspruch auf Schulungen im Rahmen der Hörfunkdigitalisierung, ein Diensthandy, befristete Besitzstandswahrung bei Übernahme einer geringer qualifizierten Stelle, Zuschuss für im Ausland Beschäftigte und ihre Familien bei einer Urlaubsreise nach Deutschland, Zuschuss für Kameraleute zu einem Rückentraining, einen freien Tag an Rosenmontag – und ich habe sicherlich nicht alles gefunden.13
Es ist okay, das alles nicht zu haben. Aber dann sollte so viel für die Arbeit selbst gezahlt werden, dass die Freien Mitarbeiterinnen den Vorsprung aus eigener Kraft wettmachen können.
Wenn ich angesichts der unbezahlten Arbeitszeiten der Freien und angesichts der Liste – wie bei der freien Tontechnikerin – einen sehr bescheiden gerechneten Aufschlag von 75 Prozent annehme und außerdem noch niedrig geschätzte 15 Prozent für die Geschäftskosten, die die Freie Mitarbeiterin selbst trägt, dann müsste sie 465 Euro pro WDR-Beschäftigungstag nehmen und einen Stundensatz von 60 Euro.14 Dann erst rückte die Erfüllung der Forderung näher, dass sie gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit bekommt.
Ein Recht der angestellten WDR-Kolleginnen allerdings haben die Freien ebenfalls, nämlich Anspruch auf unbezahlten Urlaub. Nur ist der bei ihnen von Arbeitslosigkeit kaum zu unterscheiden: Es fehlt der Anspruch auf Rückkehr an die Arbeit.
Weitere Rechenbeispiele kann jede selbst erstellen, um ihren persönlichen angemessenen Tagessatz / Stundensatz / Preis für ein Werk zu errechnen. Dafür gibt es eine Excel-Tabelle auf http://www.schauen.de.
Über Geld sprechen
Eigentlich selbstverständlich: Verträge werden vor dem Arbeiten geschlossen, nicht erst danach. Und zum Vertragsabschluss gehört, dass sich die Partner über eine Bezahlung verständigen. Doch leider hat sich in Jahrzehnten beim WDR eingeschliffen, dass über Geld erst gesprochen wird, wenn die Arbeit getan ist. Dabei ist es durchaus okay, dass die WDR-Verträge erst nach der Arbeit ausgestellt werden, oft sogar erst nach der Sendung. Das Kleingedruckte darauf bleibt ohnehin immer gleich und muss nicht ausgehandelt werden. Doch was für die Arbeit bezahlt wird und auch, ob mit oder ohne Wiederholungsvergütung, darüber sollte bei der Auftragsvergabe gesprochen werden.
Die Freien Mitarbeiterinnen sollten, wie jede Handwerkerin, ihr unteres Limit und den tatsächlichen Wert ihrer Arbeit kennen. Im Hörfunk, bei den Fernseh-Regionalsendungen und manchen anderen Bereichen hilft dabei der Honorarrahmen mit seinen Mindestvergütungen (siehe www.wdr-dschungelbuch.de). Außerdem sollten sich die Freien Mitarbeiterinnen gegenseitig informieren, wie hoch bei welchen Sendungen eine übliche Vergütung ist. Vor allem aber auch, was maximal drin ist.

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