Teil-Ausgleichsentgelt – mit und ohne Ankündigung
Es wird kompliziert. Sorry.
Es lag den Tarifverhandlern wahrscheinlich ferne uns zu peinigen. Aber sie sind über zehn Jahre lang immer wieder zusammengetroffen und haben mal an diesem und dann an jenem Paragrafen feilt und gezerrt, geprüft und Rücksprache genommen, diskutiert, Kompromisse geschlossen – und zum Schluss waren sie so froh über die Einigung, dass sie eine gründliche Endredaktion nicht in Betracht zogen, die womöglich weitere zehn Jahre Verhandlungen verursacht hätten. Allein, sie vergaßen, dass auch andere verstehen und anwenden müssen, was sie schließlich unterschrieben.
Das ist der vertrackteste Teil des „Bestandsschutzes“: Es fällt nur ein Teil der WDR-Aufträge weg – und womöglich wird auch kein Ankündigungsbrief geschrieben. Was ist dann mit Ausgleichzahlungen in der Ankündigungsfrist? An welchem Vergleichszeitraum wird der Verdienstausfall gemessen? Spielt es wirklich so eine entscheidende Rolle, ob die Einschränkung der Tätigkeit spät im Jahr geschah (weniger oder kein Ausgleichsentgelt) oder zum 1. Januar (unstrittiges Ausgleichsentgelt)? Wann genau muss die freie Mitarbeiterin feststellen lassen, dass ihr Auftragsvolumen wesentlich gesunken ist? Je nachdem, auf welche Bestimmungen des Sozial- und Bestandsschutz-Tarifvertrges man schaut: Viele Antworten sind unklar.
Grundsatz
Vermindert sich eine „regelmäßig wiederkehrende“ Tätigkeit für den WDR „wesentlich“, dann zieht dies möglicherweise den Anspruch auf ein „Teil-Ausgleichsentgelt“ nach sich, und zwar dann, wenn das Ganze nicht oder nicht rechtzeitig angekündigt wird. § 12 Abs. 5 Sozial- und Bestandsschutz-Tarifvertrag
(Daneben kann es auch ein Teilbeendigungsgeld geben. Dazu mehr auf einer Extra-Seite)
Mögliche Frage: “regelmäßig wiederkehrend”
Fragt sich also zunächst, wie der Rückgang einer „regelmäßig wiederkehrenden“ Tätigkeit definiert ist. Ein ganz allgemeiner Rückgang ganz diverser Aufträge reicht nicht. Vor allem nicht, wenn die betreffende Freie diese Aufträge bisher für unterschiedliche WDR-Redaktionen erledigt hat. „Regelmäßig wiederkehrend“ sind Moderationen, Redaktionsjobs oder die Produktion von Reportagen und Berichten für eine bestimmte Redaktion. Wenn diese gekürzt werden oder wegfallen, ist eine Bedingung erfüllt.
Hangeln wir uns entlang an einem hypothetischen Fall, in dem wenigstens die Frage der „wiederkehrenden Tätigkeit“ geklärt ist. Denn der Rest ist kompliziert genug:
Fallbeispiel: Unangekündigte Einschränkung
Eine Freie Mitarbeiterin hat neben anderen WDR-Reportagen für andere Redaktionen jahrelang für ein TV-Magazin eine Serie realisiert. Als “Lotta räumt auf” ist sie durch die Wohnungen der Messies von NRW gefegt. Für eine Zeit lang ein toller Erfolg, auch bei den Quoten. Als aber alle Messie-Wohnungen aufgeräumt waren, setzte die Redaktion im Juli vor ihrer Sommerpause die Sendung ab und versprach Lotta, sie könne viele andere saubere Berichte machen. Daraus wurde aber – trotz aller Bemühungen – nichts.
Bei dieser einen Redaktion ist Lotta also von einem Tag auf den anderen auf Null gesetzt worden. Doch erhält sie nun ein Ausgleichsentgelt aus dem „Bestandsschutz“? Kommt drauf an. Bei Lotta machte die Aufräumserie 50 Prozent des WDR-Umsatzes aus. Es gelang ihr aber, mit Arbeit für andere Redaktionen nach ein paar Monaten diesen Umsatzrückgang teilweise auszugleichen – auch durch Arbeit für andere ARD-Sender.
Kriegt sie nun was, und wenn ja, wieviel? Dazu müssen zwei Fall-Konstellationen unterschieden werden: eine mit und eine ohne
… mit Ankündigungsbrief.
Nehmen wir an, bei Lotta läuft die Ankündigungsfrist sieben Monate, weil sie unbestritten schon über zehn Beschäftigungsjahre beim WDR arbeitet. Hätte der WDR an Lotta sieben Monate vor dem Juli jenen schicksalhaften Ankündigungsbrief geschrieben, also bis Ende November des Vorjahres, wäre überhaupt kein Ausgleichsentgelt fällig, möglicherweise aber ein Teilbeendigungsgeld (siehe andere Seite). Sie hätte sieben Monate gehabt, sich drauf einzustellen, dass diese Aufträge wegfielen.
Wenn der Brief aber erst im März kam, ist die Lage anders. Die sieben Monate begannen also im April, und die Frist für das Ausgleichsentgelt läuft, als die Serie im Juli endet, noch vier Monate weiter, bis einschließlich Oktober. In diesen vier Monaten könnte Lotta Anspruch auf Zahlung haben – sofern ihr WDR-Einkommen um 25 Prozent gesunken ist.
… und wesentlich eingeschränkt
Unter 25 Prozent gilt das Ganze nämlich gar nicht erst als eine wesentliche Verminderung der Aufträge. Dabei werden nur die aktuellen „Leistungsentgelte“ berücksichtigt, also z. B. keine Wiederholungsvergütungen, die in den Zeiträumen flossen.
Höhe des Ausgleichsentgelts?
Was könnte Lotta als Ausgleichsentgelt erwarten? Im Tarifvertrag heißt es dazu, in der (restlichen) Ankündigungsfrist bemisst sich der Zahlungsanspruch „nach der monatlichen Differenz der Jahresvergütung im Kalenderjahr der Einschränkung und der des vorangegangenen Jahres“. (§12 Abs 8, Satz 2 Sozial- und Bestandsschutz-Tarifvertrag) Ob das so war, wird am Ende des Kalenderjahres festgestellt (§ 12 Abs. 5 Satz 4 Sozial- und Bestandsschutz-Tarifvertrag).
Erste Interpretation des Tarifvertrags
Die „monatliche Differenz der Jahresvergütung“. Puh …
Ich kann das so interpretieren: Am Ende des Kalenderjahres wird Lottas Jahresvergütung beim WDR mit der des Vorjahrs verglichen und auf den Monat umgerechnet. Wenn dies Entgelt um 25 Prozent gesunken ist, dann hat sie von Juli bis Oktober Anspruch auf Ausgleich der Differenz zum Vorjahresdurchschnitt. Im Fall der Fälle müsste sogar noch berücksichtigt werden, ob Lotta während der Ankündigungsfrist zusätzlich noch Einkommen von ARD und ZDF erwirtschaften konnte.
Wegen dieser Durchschnittsrechnung wäre die Folge: Für Lotta wäre es besser, ihre Messie-Serie würde im Januar abgesetzt. Dann sinkt der Umsatz des Kalenderjahres wohl stärker als wenn es im Juli passiert. In sehr vielen Fällen hat so eine wie Lotta da keine oder nur geringe Ansprüche.
Zweite Interpretation
Ich würde mich an Lottas Stelle auf andere Bestimmungen im Tarifvertrag beziehen, das für sie günstiger ist. Eine Bestimmung lautet: „Bei fehlender oder fehlender rechtzeitiger Ankündigung ist auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem ordnungsgemäß hätte angekündigt werden müssen.“ (§12 Abs. 8, Satz 2 Sozial- und Bestandsschutztarifvertrag) iDeser Zeitpunkt ist in Lottas Fall der Juli, als ihre Reihe abgesetzt wird.
Aber der vorige Satz des Tarifvertrags hatte doch schon die Höhe des Ausgleichsentgeltes für den Zeitraum bis zum „Ablauf der Ankündigungsfrist“ geregelt – und das wäre ja bei einer rechtzeitigen ordnungsgemäßen Ankündigung gar nicht nötig! Und es gibt einen weiteren Absatz, der anderen Absätzen widerspricht, darin heißt es: „Bemessungsgrundlage ist die Durchschnittsvergütung aus den der Einschränkung oder Beendigung vorangegangenen zwölf Monaten“ (§12 Abs. 10 Satz 2 Sozial- und Bestandsschutztarifvertrag) Also doch nicht der Durchschnitt des vorigen Kalenderjahres. Welche Regelung gilt also?
Interessengeleitete Interpretation
Also wird ganz anders verfahren und gerechnet, und zwar logischer. Wieder am Beispiel von Messie-Lotta: Ihre Vergütung beim WDR in der Zeit ab, sagen wir, dem 18. Juli – denn von Kalendermonaten ist nicht die Rede – wird verglichen mit dem Durchschnitt aus der Zeit vom 18. Juli des Vorjahres bis zum 17. Juli, als ihr letztes Honorar aus der Messie-Serie fällig war. Wenn die Differenz größer ist als 25 Prozent, dann hat sie für sieben Monate Anspruch auf den Ausgleich des Unterschiedes (oder halt für die restliche Laufzeit der Ankündigungsfrist, wenn ein Brief gekommen ist).
Wenn Lotta Glück hat, braucht sie das Geld nur für zwei Monate, weil sie in der Zeit danach schon wieder eine andere Serie dreht: „Abnehmen mit Lotta.“ Anfänglich hatte der WDR gemeint, er bräuchte überhaupt nichts zu zahlen, weil Lotta ja schon noch zwei Monaten wieder auf ihr bisheriges Monatsmittel kam, aber das gibt der Tarifvertragstext nicht her.
Ausschluss-Fristen für die Geltendmachung?
Eine weitere Unsicherheit im Tarifvertragstext betrifft die Fristen, in denen der Antrag auf das Ausgleichsentgelt bei Teilbeendigung gestellt werden muss.
Wenn der WDR die Einschränkung der Tätigkeit angekündigt hat, kann das Ausgleichsentgelt bis zu sechs Monate nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres beantragt werden.
Wenn der WDR aber keinen Ankündigungsbrief geschickt hat, dann beginnt die sechsmonatige Ausschlussfrist für den Antrag möglicherweise schon zu dem Zeitpunkt, in dem die „wiederkehrende Tätigkeit“ eingeschränkt oder beendet wird.
Weil dieser Zeitpunkt nicht immer so klar zu bestimmen ist wie bei Lottas abgesetzter Serie, haben wir hier ein weiteres gefundenes Fressen für Tarifvertrags-Messies vor uns.
Wir können uns aber auch auf den Standpunkt stellen, dass auch bei fehlender Ankündigung für den Antrag auf Ausgleichsentgelt Zeit bis zum 30. Juni des Folgejahres ist – und falls Lotta den Braten erst zu spät für die erste Frist gerochen hat, tun wir das auch.
Der Tarifvertrag gibt Raum für Interpretationen. Denn der Paragraf 7 Abs. 1 Satz 2 des SuBSchTV verweist für alle „Ansprüche aus Abschnitt 3“ – und das sind die Bestandsschutzregelungen – auf die dort genannten Fristen, und dieser Paragraf nennt für das „Ausgleichsentgelt wegen Einschränkung“ als Zeitpunkt für die Entstehung des Anspruchs nur den §12 Abs. 5 Satz 4, und erwähnt nicht den §12 Abs. 8 Satz 3.
Ah ja.
Ihr seht schon: Ihr müsst Euch jetzt für den Einzelfall beraten lassen, um das ganze – rechtzeitig – durchzudeklinieren.
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