Programmkonflikte und Redakteursstatut
Programmkonflikte sind nichts Neues. Das WDR-Redakteursstatut gibt es seit 1987 – und es kennt insbesondere „Konflikte, die sich in Wahrnehmung der Programmverantwortung der Anstalt durch Vorgesetzte und der eigenen journalistischen Verantworten durch den(die) Programm-Mitarbeiter(in) ergeben können.”
Download des Redakteursstatuts hier
„Jede(r) Programm-Mitarbeiter(in)” kann die von den WDR-Redakteuren gewählte Redakteursvertretung anrufen, wenn „er (sie) die „Freiheit seiner (ihrer) journalistischen oder künstlerischen Arbeit im Rundfunk als beeinträchtigt ansieht“ und ein vorheriger Klärungsversuch gescheitert ist.
Dieses Recht steht auch den Freien Mitarbeiterinnen zu, und es darf auch ihnen laut Redakteursstatut „kein Nachteil daraus entstehen“
Bei den Schlichtungsversuchen der Redakteursvertretung kann sich die Freie Mitarbeiterin von einer angestellten Programm-Mitarbeiterin unterstützen und vertreten lassen.
Mehr noch: Sowohl für angestellte Mitarbeiterinnen als auch bei Freien Mitarbeiterinnen relativiert das Redakteursstatut sich selbst:
Weisungsrechte der Vorgesetzten und vertragliche Vereinbarungen bleiben unberührt.“
Und jeder weiß: Wenn die Freie Mitarbeiterin sich auf ihre „journalistische Verantwortung“ be- und einen Programmkonflikt ausruft, riskiert sie es, als unbequem zu gelten und als wenig pflegeleicht. Bei allem journalistischen Ethos: Menschen, die den überlasteten WDR-Abteilungen, also ihren Kunden, mehr Arbeit machen als nötig, riskieren Folgeaufträge.
Aller Skepsis gegenüber den Wirkungen des WDR-Redakteursstatuts zum Trotz: Es ist gut, dass es existiert, weil es Kanäle eröffnet, um Programmkonflikte und grundsätzliche Programmvorhaben zu bearbeiten und zu diskutieren.
Die Redakteursvertretung beruft mindestens viermal jährlich Redakteurinnenversammlungen ein, auf denen auch freien Programm-Mitarbeiterinnen das Wort erteilt wird. Auf den Versammlungen werden sowohl größere Programmkonflikte als auch grundsätzliche Programmfragen diskutiert – die jeweils aktuelle Programmreform etwa, journalistische Ethik oder die Online-Strategien des WDR.
Eine gute Gelegenheit sich zu informieren und einzumischen.
Die Redakteursvertretung selbst klagte unter Intendantin Monika Piel darüber, dass ihre Arbeit eingeschränkt werde. So würden allzu häufig Konflikte mit Redakteurinnen und Redakteuren zu „rein arbeitsrechtlichen Konflikten” deklariert, für die demzufolge die Redakteursvertretung nicht zuständig sei. Die Folge: Die Redakteursvertretung bekommt keine Gelegenheit, die Sache mit der „Leitung des Hauses“ zu besprechen.
Man kann darüber streiten, ob es sinnvoll ist, dass die Redakteurvertretung jährlich neu gewählt wird. Kaum eingearbeitet, treten die Kolleginnen schon wieder ab, wenn sie nicht wiedergewählt werden. Und jedesmal muss neu um eine hohe Wahlbeteiligung gekämpft werden.
Seit geraumer Zeit hat sich die sechsköpfige Vertretung so organisiert, dass für bestimmte Abteilungen bestimmte Redakteurvertreterinnen zuständig sind. Wie es bei der Neuorganisation des WDR – der Auflösung von TV-Direktion und Hörfunkdirektion damit weiter geht, findet es heraus!
Von Formatvorgaben und Realitäten
In der täglichen Praxis, die Gremien und offizielle Konfliktregelungsmechanismen selten erreicht, geht es meist nicht um eine Ja/Nein-Alternative, öfter hingegen um einen Konflikt zwischen Mitarbeiterinnen, die sich einen offenen Blick bewahrt haben und den Erwartungen der Redaktionen an das journalistische Werk: Bei der ARD-Sendung Monitor beispielsweise soll es schon öfter vorgekommen sein, dass die Redaktion Differenzierungen aus Berichten strich, damit das Ergebnis besser dem Format „kritisches Magazin“ entsprach. Monitor-Format bedeutet eben: Wir wissen, wo es lang geht, und es gibt Unfähige/Bösewichte/Geldgierige/mächtige Organisationen, die verhindern, dass „der richtige Weg“ beschritten wird. Waren auch mal Monitor-Berichte zu sehen, in denen die Autorin offen ihre Ratlosigkeit über einen „richtigen Weg“ geäußert hat, wurde dies dem Vernehmen nach prompt redaktionsintern kritisiert.
Bei anderen Sendungen ist die Konfliktlage ähnlich – und doch anders. Kritische Fakten oder gar selbstständig erarbeitete Analysen werden aus dem regionalen Vorabend-Wohlfühlprogramm des WDR-Fernsehens eher herausgehalten. In das wohlwollende Porträt eines NRW-Unternehmens passen Kritiker nur in Maßen hinein, in den Verbrauchersendungen überlagert der Nutzwertjournalismus die Hintergrundinfos bis zur Unerkennbarkeit, im Regionalen steht die Identitätsstärkung der vermuteten Mehrheit vor der Berichterstattung mit, für oder über Minderheiten. Für WDR 4 sollen alle Mitarbeiterinnen bei ihrer Berichterstattung „Hans und Brigitte“, die idealtypischen Hörerinnen in ihrem abbezahlten Hagener Reihenhaus vor Augen haben, die sich von den idealtypischen imaginierten Hörerinnen von 1Live, WDR 2, 3 und 5 genau definiert unterscheiden. Journalistische Kriterien, ob ein Thema relevant ist, sind bald flächendeckend den Formatierungsvorgaben untergeordnet und abhängig gemacht von „Sinus-Mileus“, dem Flow, den Erkenntnissen der Zuschauerforschung über Einschalt- und Ausschaltzeitpunkte. Jede Abweichung von den Vorgaben ist mit zusätzlicher Arbeit für die Redakteurinnen verbunden. Sie müssen Änderungen intern erneut besprechen und durchsetzen. Und sie riskieren im Extremfall arbeitsrechtliche Konsequenzen, wenn sie es nicht tun. Das süffig und eingängig formatierte Programm geht einher mit stromlinienförmigen Redaktionen, denen der Arbeitsdruck jede Ecke und Kante weggeschliffen hat.
Die Vorgaben an die Berichte werden häufig von halbinformierten Redaktionskonferenzen beschlossen oder von Vorgesetzten verfügt, entschieden nach der Lektüre eines Artikels aus einem der Leitmedien – etwa dem Spiegel, der Süddeutschen Zeitung oder der Regionalzeitung; damit ist man auf der sicheren Seite. Aufgrund der Vorinformationen werden gleich die Rollen an die zu dem Zeitpunkt noch unbekannten O-Ton-Geberinnen da draußen aus dem Lande verteilt, die sie in der Dramaturgie des Berichtes spielen sollen. Wer besetzt jetzt den Bösewicht, wer die Expertin, wer das Opfer, wer die Heldin?
Die Mitarbeiterinnen, die auch für Presseagenturen oder Zeitungen arbeiten, haben gelernt, dass es meist wenig sinnvoll ist, ihr exklusiv recherchiertes Sujet zuerst ihren WDR-Stammredaktionen anzubieten. Besser, sie schreiben es zuerst für die Agentur oder die Zeitung – danach erst lassen auch ihre WDR-Redakteurinnen gerne die Geschichte für das Programm verfilmen oder vertonen. Kein Wunder, dass wendig agierende Freie Mitarbeiterinnen in diesem System wohlgelitten sind. Die anderen wünschen sich, dass ihren Rechercheergebnissen nicht grundsätzlich nur deshalb misstraut wird, weil sie noch nicht in der Zeitung zu lesen waren.
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