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Mindestvergütungen – der Honorarrahmen

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Erstes Bild: In der Redaktion. 
Freie Mitarbeiterin schimpft: "Die Redaktion spart so sehr, dass wir Freie nicht mehr genug verdienen können." 
Redakteur deutet auf Lautsprecher mit laufendem Radioprogramm und sagt: "Völliger Unsinn. Wir machen ein ausgezeichnetes Programm. Hören Sie?'
Zweites Bild. Zerknirschtes Gesicht und Kopfkratzen beim Redakteur. 
Stechender Blick und Fingertrippeln der Freien Mitarbeiterin auf dem Tisch, während aus dem Lautsprecher schallt: "... beenden wir den Beitrag bei genau zwei Minuten 30 Sekunden, damit wir dafür kein höheres Honorar zqhlen müssen."

Vom Umgang mit dem Honorarrahmen

Wie viel mindestens für eine Leistung bezahlt werden muss, das ist so -einigermaßen im Honorarrahmen geregelt. Seine Mindestsätze sind bindend – so steht es im Tarifvertrag über Mindestvergütungen. Was effektiv normalerweise gezahlt wird (Effektivhonorar), liegt oft über den Mindestsätzen des Honorarrahmens und ist Gegenstand ständigen Gezerres. Besonders, wenn die Redaktion (oder eine andere honorierende Abteilung) keinen Spielraum mehr nach unten hat, ist das Gestöhne groß. Dabei besagt dies meistens nur, dass die Abteilung entweder eine lange Geschichte von Dumping oder, dass sie die Tariferhöhungen lange Zeit nicht weiter gegeben hat.

Effektiv- und Mindestvergütungen

Ein markantes Beispiel sind die Vergütungen im Programmbereich IV – Regionales. Sie wurden um das Jahr 2000 herum neu geregelt, und das lief so: Die Tarifparteien übernahmen weitestgehend die über den Mindesthonoraren liegenden tatsächlich gezahlten Effektivvergütungen – das, was auf einer A4-Seite des Programmbereichs stand, die Honoraranweisungen für die Mitarbeiterinnen der Sekretariate handhabbar machte. Auf dem Waschzettel waren die unterschiedlichen Arten von Fernsehbeiträgen aufgeführt. Daneben stand, was es als Regelhonorar dafür gab.

„Lasst uns diese Liste doch einfach als Mindestvergütungen übernehmen“, argumentierten die Gewerkschafterinnen. Doch das wollte die Gegenseite nicht. Man wolle zwar weiter so zahlen wie bisher und nicht absenken, aber es müsse doch immer einen kleinen Spielraum nach unten geben. Wie wäre es denn mit Mindesthonoraren 10 Prozent unter den Regelhonoraren?

Na gut, dann gab es einen Kompromiss: 5 Prozent unter der bisher üblichen Honorierung, das sollte die Mindestbezahlung sein. Die Gewerkschafterinnen ließen sich darauf ein, denn es war besser als die bisherige Lage; bis dahin wurden alle diese Honorare nach ein, zwei sehr niedrigen Positionsziffern des Honorarrahmens bezahlt, die effektiv gezahlten Vergütungen hätten in Zukunft ins Bodenlose fallen und Tarifsteigerungen auf Jahre hinaus kassiert werden können.

Doch kaum war der neue Honorarrahmen ins Kraft getreten, begann der Programmbereich IV, die Effektivvergütungen auf das Minimum zu senken – und schob die Verantwortung auf die Gewerkschaften, die ja die Vergütungen 5 Prozent niedriger als bisher ausgehandelt hätten.

Doch die Gewerkschaften hatten Recht. Denn seitdem müssen tarifliche Honorarerhöhungen bei den Regionalredaktionen von Aktuelle Stunde, Lokalzeiten und WDR-Aktuell, für die die Honorarpositionen gelten, bei jeder neuen Tariferhöhung darüber, dass die Tariferhöhungen tatsächlich vollzogen werden, weil die Effektivvergütungen den Mindestvergütungen entspricht. Eine Reaktion der Redaktionen: Weniger bestellen, was bezahlt werden muss. Mehr Wiederholungen.

Kein internes Papier!

Der aktuelle Honorarrahmen wird vom WDR vertraulich behandelt. In der allgemeinen „Vorschriftensammlung” im Intranet ist er als eines der wenigen Dokumente nicht vorhanden. Nur die Abteilungen, die Honorare anweisen, erhalten Zugriff auf die Daten. Doch der wichtigste Teil des Honorarrahmens, die Mindestsätze, sind tariflich vereinbart. Beide Tarifparteien haben das Recht, den Tarifvertrag zur Kenntnis zu nehmen und zu benutzen, also auch die Gewerkschaftsmitglieder unter den Freien. Deshalb steht er mit seinen Mindestsätzen online hier und auf den Websites der im WDR relevanten Gewerkschaften ver.di und DJV.

Den Honorarrahmen benutzen!

Welche Positionsziffer des Honorarrahmens des WDR für die Leistung einer Freien angewendet wurde, ist auf den WDR-Verträgen aufgedruckt, so am Ende des ersten Viertels der Seite halbrechts. Vergleicht bitte die abgedruckte Ziffer mit dem Honorarrahmen. Und hakt gegebenenfalls nach.

So wird in den Regionalstudios gerne vergessen, dass es überhaupt Positionen für „Arbeiten mit besonderem Aufwand” gibt, wie die Live-Reportage für mindestens 1.278,84 Euro (Honorarposition 6.7574 – Stand März 2019) , oder die „allgemeine Reportage mit besonderem Aufwand und besonderer Schwierigkeit” (Position 6.756, mindestens 1.522,31 Euro) oder den Magazinbeitrag über vier Minuten Dauer, mit hohem Schwierigkeitsgrad über ein selbst recherchiertes Thema (Position 6.759, mindestens 1.991,90 Euro). Standardargument gegen alle jene, die auf diese Positionen hinweisen: die “Mischkalkulation”.

Stattdessen dümpeln die Vergütungen bei maximal 819,66 Euro -. das wird schon fast Extremfall angesehen (Honorarposition 6.7536).

Und man achtet darauf, dass die Berichte nicht länger werden als maximal vier Minuten.

Definitionen lesen und anwenden

Dabei haben sich die Gewerkschaften wirklich Mühe gegeben, die Definitionen so zu fassen, dass die Freien Mitarbeiterinnen sie bei Verhandlungen nutzen können. So muss zum Beispiel im Programmbereich IV eine höhere Honorarposition gewählt werden, wenn der Arbeitsaufwand größer ist als das, was man üblicherweise an einem Arbeitstag schaffen könnte. Die Redaktionen vergessen das gerne – und die Freien Mitarbeiterinnen haken nicht nach. So aber nutzt die schönste Definition nichts mehr.

Ein anderes Beispiel: Die Redaktion von „Cosmo TV”, der Sendung mit Migrationshintergrund im WDR-Fernsehen, erhöhte ständig die Anforderungen. Aus der früher betulichen Gastarbeitersendung „Ihre Heimat – unsere Heimat” und deren Nachfolgerin „Babylon“ sollte – auch zum Ruhm der wechselnden Redaktionsleitungen und auch von deren jeweiliger Chefinnen – ein hippes, zeitgemäßes Multikultimagazin werden, mit Berichten, die sich am Standard von Monitor oder Weltspiegel messen lassen können und dabei aber immer noch ein bisschen flotter gemacht sind. All das aber offensichtlich ohne Etaterhöhung. Also behielt die Redaktion die „Gastarbeiterinnentarife” für die Ackerei ihrer Freien Mitarbeiterinnen bei: Irgendwas von 800 bis 1.200 Euro waren die Redakteurinnen bereit zu zahlen; bei guter Verhandlungskunst stieg das Honorar auf 1.300. In der WDR-PR über seine Migrantinnenförderung kamen diese Zusammenhänge nicht vor. mittlerweile sowieso nicht mehr, denn Cosmo TV ist abgeschafft, dessen Themen sollen zwar im allgemeinen Programm vorkommen – aber sucht sie mal.
Die Berichte der Sendung freilich fielen eigentlich eindeutig in die Kategorie „Magazinbeiträge” (Position 6.43) mit einer Mindestvergütung von zu der Zeit 1.714,06 Euro. Auf den Verträgen hingegen die Leistung der Mitarbeiterin als „Live-Reportage” bezeichnet (Mindesthonorar: 306 Euro, Positionsziffer 6.4411 – die oben genannten Positionen für den Programmbereich Regionales gelten nicht bei cosmo-TV).

Schließlich gingen die Mitarbeiterinnen auf die Barrikaden, informierten ihre Gewerkschaft. Ver.di monierte erst mit einem Brief die Verletzung des Tarifvertrages und prangerte das Dumping öffentlich an. Leitende Redakteurinnen wehrten sich, zitierten mögliche Rädelsführerinnen unter den Freien Mitarbeiterinnen zu sich, aber es half ihnen nicht mehr: Die Honorare mussten drastisch erhöht werden – und doch gab auch dann immer noch rund 100 Euro weniger für die Arbeit als der Tarif eigentlich vorsieht.

Modernisierung tut not

Wenn der Honorarrahmen wirklich überall Biss haben soll, muss er in vielen Passagen noch weiter modernisiert werden. Dass die Bezahlung für das Manuskript für ein halbstündiges TV-Feature auf 3.572 Euro fallen könnte, weil das die derzeitige Mindestvergütung ist, dass die Bezahlung der Regie für dasselbe Feature auf 5.643 Euro fallen könnte, ist sehr schlecht. Dass die Bearbeitung von Filmberichten bis zu einer Dauer von 60 Minuten nach Tarifvertrag nur mit mindestens 290,70 Euro (CHECK aktuell) honoriert werden muss, ist ein Skandal.

Klar, die effektiv gezahlten Vergütungen sind höher, zum Teil erheblich höher. Aber die mit viel Herzblut geführten und von Aufruhr-Rhetorik begleiteten Tarifverhandlungen nützen gerade dann nichts. Die Mindesthonorare werden erhöht, die Effektiv-Vergütungen bleiben gleich. Für ein TV-Feature wurde schon vor 20 Jahren dasselbe gezahlt wie heute, sagen die Feature-Autorinnen.

Oft wird umetikettiert, um Geld zu sparen. Ein Beispiel aus 2019: Ein Feature-/Reportage-Sendeplatz von 30 Minuten wird umetikettiert: Es gehe um ein Werk für den Programmbereich IV, nicht für den Programmbereich I, Motiv: Im “Vierer” steht das Werk als “E”-Vertrag, nicht mit “W” – also ohne Wiederholungsvergütungspflicht.

Die Ursachen vieler Mängel liegen in der Geschichte des Honorarrahmens. Er ist entstanden auf der Basis von WDR-Papieren. Die wurden nach administrativen Gesichtspunkten gegliedert. Und beim WDR-Papier kam es nämlich vor allem auf die Höchstsätze an, nicht auf die Mindestsätze.

Geschichte des Honorarrahmens

Von der internen Dienstanweisung…
Den WDR-Honorarrahmen gibt es spätestens seit den 60er Jahren. Damals war er eine einseitig vom Sender erlassene Anweisung an die Redakteure; ein rein internes Papier, nach dem der Sender vorging. Heute dagegen sind die Mindestsätze tariflich vereinbart – darunter läuft nichts.
Zwei Zahlen stehen hinter jeder Position des WDR-Honorarrahmens: Ein Mindestsatz und ein Höchstbetrag, den Freie für ihre Leistungen bekommen sollen.

Für den Sender war immer schon vor allem die rechte Spalte wichtig, die mit den Höchstsätzen.
In der „Dienstanweisung” des WDR-Intendanten von Bismarck „zum Gebrauch des Honorarrahmens” vom 30.9.1970 hieß es:

Eine Unterschreitung der Minimalsätze ist jederzeit zulässig. Die im Honorarrahmen vorgesehenen Höchstsätze dürfen nur in begründeten Ausnahmefällen überschritten werden. Die Überschreitung des Höchstsatzes ist schriftlich zu begründen.

In den 1970er Jahren druckte die Zeitschrift „filmkritik” in einem Akt zivilen Ungehorsams das „Geheimpapier WDR-Honorarrahmen“ samt Dienstanweisung ab, und dazu kluge Zitate des Filmemachers Hartmut Bitomsky. Der stellte fest, die Gehälter der Angestellten seien in den 15 Jahren davor um 100 Prozent angestiegen, die Sätze im Honorarrahmen aber nur um 25 bis 50 Prozent und beklagte:

Die Freien Mitarbeiter, und nur sie, dürfen ungefragt helfen, das Defizit der Sender zu mindern. Warum gerade sie? Weil sie rechtlos sind, und weil sie rechtlos sind, sind sie machtlos.

Zudem seien die Anhebungen bei den Honoraren oft nur Kosmetik gewesen, weil die dazu gehörenden Etats nicht erhöht worden seien. („Der WDR-Honorarrahmen”, filmkritik Jg 18, 1974, Heft 1, Seite 26 – 37) 

Natürlich sahen das schon damals die Senderverantwortlichen anders. Die Honorare seien binnen zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen, schrieb der spätere WDR-Intendant von Sell. Und Freie Mitarbeiterinnen bekämen eine erheblich höhere Bezahlung als Angestellte, um für Risiken vorbeugen zu können. Immerhin hatte er also Verständnis dafür, dass Freie Mitarbeiterinnen höher bezahlt werden müssten als Angestellte. Die damalige Forderung der Freien, einheitliche Honorarbedingungen in der ganzen ARD zu schaffen, lehnte er allerdings rundheraus ab (Friedrich Wilhelm Freiherr von Sell, Der Rundfunk und die Freien Mitarbeiter. Probleme und Lösungen. in: ARD-Jahrbuch 1971, S. 29 bis 33) .

… zum Tarifvertrag

Auch wenn leider einige Bemerkungen von Hartmut Bitomsky immer noch korrekt sind, die Zeiten des einseitig festgelegten Honorarrahmens sind vorbei. 1981 schloss die Gewerkschaft Rundfunk-Fernseh-Film Union RFFU, die erst in die IG Medien und dann in ver.di aufging, mit dem WDR den „Tarifvertrag über Mindestvergütungen” ab.

Mit dem Tarifvertrag wurde der bestehende Honorarrahmen zunächst unverändert übernommen. Die Mindestsätze dürfen seitdem nicht mehr unterschritten werden, weil sie tariflich vereinbart sind. Die Spalte des Honorarrahmens mit den Höchsthonoraren wird dagegen weiterhin einseitig vom WDR ausgefüllt. Und sie ist weiterhin WDR-internes Material, das nicht bekannt gegeben wird – nur die “honorierenden Stellen” sollen wissen, wie hoch sie gehen dürfen mit der Bezahlung, ohne die Zustimmung von Chefinnen einzuholen. 

Mängel des Honorarrahmens

Leider stammen heute noch manche Positionen des Honorarrahmens aus den 1960er Jahren, als ein völlig anderes Fernseh- und Hörfunk-Programm gemacht wurde.

Die erste Magazinsendung des deutschen Radios – das WDR-Morgenmagazin – war gerade erst für WDR 2 erfunden worden. Es dominierten längere Wortbeiträge, Musiksendungen, Hörspiele und Features.

Außer dem werktäglichen „Hier und Heute” gab es im Fernsehen keine Magazinsendungen – also empfand man es 1970 nicht als großen Mangel, dass im Honorarrahmen nur eine einzige, grob gefasste Position für tagesaktuelle TV-Berichte stand. Die meisten anderen Berichte waren „Magazinbeiträge”. Auch für das „Bearbeiten von Filmberichten” gab es nur eine einzige Zeile – für alle Berichte „bis 60 Minuten”.  Wie heute noch.

Manche Honorarziffern wurden bis heute nicht reformiert und den neuen Programmstrukturen angepasst. Dadurch konnte der Tarifvertrag jahrzehntelang in manchen Bereichen nur einen geringen sozialen Schutz entfalten – er liegt häufig zu weit neben der Arbeitsrealität. Und gegen eine Reform sträubte sich der WDR immer wieder, weil das die Bewegungsfreiheit der Redaktionen einschränkt.

Die ganze Palette unterschiedlicher Berichte in den TV-Regionalmagazinen wurde bis in die 90er Jahre hinein weitestgehend nach einer einzigen Honorarposition bezahlt, als tagesaktueller Bericht. Dessen Mindestsatz lag mit etwa 400 D-Mark (204 Euro) weit unter den effektiv gezahlten Sätzen.

Sparkommissarinnen, die bei gleichbleibendem Etat mehr Sendeminuten füllen wollen, bietet solch ein Honorarrahmen gefährlich viel Spielraum für Kürzungen.

Den Redaktionen andererseits bot der Honorarrahmen nur wenig Hilfe beim Ausfüllen der „Honorarvorschläge”. Viele bastelten sich deshalb eigene Honorierungsrichtlinien. Als die Formulare noch mit der Schreibmaschine ausgefüllt wurden, fanden sich darauf Ziffern wie „6.52 analog”, denn so direkt war die bezahlte Leistung nicht im Honorarrahmen zu finden.

Verbesserungen nach Verhandlung

Viel haben die Tarifverhandler der Gewerkschaften mittlerweile an Verbesserungen herausgeholt, im Hörfunk und im TV-Regionalprogramm. Wo früher drei Positionen zur Auswahl standen, können es heute 15 sein, besser definiert und stärker aufgefächert. Leider musste dabei die Bezahlung auch nach unten aufgefächert werden, für sehr kurze Radiobeiträge zum Beispiel. Das drückt die Honorierung potenziell dann, wenn die Beitragslänge verkürzt oder die zu erbringende Leistung verändert wird. Mal einen Radio-Originalton von einem Protagonisten einzuholen, das kann großer Aufwand sein, nicht so viel geringer, als ein ganzes Stück zu schreiben; dessen Bezahlung ist aber unverhältnismäßig geringer, weil das Werk nun in eine andere Kategorie rutscht.

Manche Redakteurinnen im WDR halten auch die Höchstsätze des Honorarrahmens für zu gering. Aufwändig recherchierte Reportagen und Dokumentationen sind zu diesen Sätzen nicht zu leisten. Qualifizierte und geschätzte Freie weigern sich, selbst zu den Höchsttarifen zu arbeiten. Sie wanderten zum Teil zu Privatsendern ab oder begannen, PR zu machen, bewarben sich als Pressesprecher bei Organisationen.

Freie kamen beim WDR häufig nur auf Umwegen zu einer angemessenen Bezahlung – mit einem Extra-Vertrag für „fachliche Beratung” oder ähnlichen Kunstgriffen. Eine stärkere Kontrolle von oben scheint dies heute zu verhindern.

Der einzige Internet-Tarifvertrag Deutschlands

Die Leitung der Anfang des 21. Jahrhunderts neu geschaffenen WDR-Internetredaktion hat diese Zusammenhänge begriffen und dafür gesorgt, dass für sie Tarife vereinbart wurden, die eine einigermaßen angemessene Bezahlung ermöglichen.

Für die Redaktion bedeutet die Existenz auskömmlicher Mindestsätze auch, dass ihr Etat argumentativ abgesichert ist gegenüber anderen Abteilungen im Sender und gegenüber Einflussnahme von außen, zum Beispiel gegenüber dem Landesrechnungshof oder der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, KEF, die alle paar Jahre die Höhe der Rundfunkgebühren empfiehlt.

Leider hat jedoch die Pionierarbeit des WDR beim Internettarifvertrag meines Wissens keine Nachahmer gefunden – er blieb der einzige Internettarifvertrag weit und breit. Er war Ergebnis einer vielleicht einzigartigen Konstellation beim WDR – mit verständnisvollen Verhandlungspartnern auf der Arbeitgeberseite. 

Die Basis muss mitmachen

Wenn Veränderungen im Honorarrahmen ausgehandelt werden sollen, sind die Tarifverhandlungskommissionen der Gewerkschaften auf engen Kontakt mit den Freien Mitarbeiterinnen angewiesen, die von den Tarifabschlüssen betroffen sind. Dabei kann es hochkontrovers zugehen, wie bei dem Abschluss von Tarifen von Tages- und Kombivergütungen für “Producerinnen”, die eine Tabuverletzung für die Gewerkschaften darstellen, aber vielen – nicht allen – freien Mitarbeiterinnen gelegen kamen.  Wegen des Tabubruchs ist der Producerinnen-Tarifvertrag von einer relativ genauen Aufgabenbeschreibung geprägt, ähnlich wie der für die ab 1.3.2019 offiziell tätigen “Tischreporterinnen.”

Die Tarifabschlüsse – steigende Honorare?

Tariferhöhungen beziehen sich zunächst nur auf die Mindestvergütungen des Honorarrahmens, also die Beträge, die in der „von-”Spalte stehen. Nur diese können tariflich vereinbart werden, so steht es im Tarifvertragsgesetz. Der Sender gibt zwar zu Protokoll, dass „in der Regel” auch die (darüber liegenden) effektiv gezahlten Honorare entsprechend erhöht werden sollen. Aber das wurde in großen Bereichen nur unzureichend umgesetzt.

Beispiele aus der Vergangenheit

So wurden beispielsweise jahrelang die Sätze für ein Kultur-Feature im Hörfunk im Einklang mit den Tariferhöhungen angehoben, während die für ein Politik-Feature unverändert blieben. Es lag, ganz einfach, an den leitenden Personen im Politik-Bereich.

Als die Redaktionen begannen, enger zusammenzuarbeiten und schließlich denselben Sendeplatz belegten, fielen die unterschiedlichen Honorarhöhen sofort auf und wurden angeglichen – aber nach unten. Die Tariferhöhungen aller Vorjahre fielen für die Politikautorinnen endgültig unter den Tisch, und die Vergütungen der Kultur-Expertinnen wurden gekürzt.

In anderen Fällen dagegen gelang es zu erreichen, dass die „vergessenen” Tariferhöhungen nachvollzogen wurden. An das Versprechen halten sich etliche Abteilungen aber systematisch und bewusst nicht. Mit allen möglichen Begründungen. So zum Beispiel folgender vom früheren Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz gebrauchten rhetorischen Figur: Es sei ungerecht gegenüber den neu in das Berufsfeld Journalismus strebenden jungen Menschen, wenn die Honorare zu hoch seien. Denn dann könnten nicht mehr so viele Aufträge mit dem gleichen Etat vergeben werden und die Neuen hätten geringere Chancen
Ich finde, das Gehalt der WDR-Direktorinnen sollte halbiert und auf je zwei Personen aufgeteilt werden. Damit hätten doppelt so viele Menschen die Chance, Hörfunkdirektor zu werden. Oder “Direktor für Irgendwas” (Hannes Hoff in der Süddeutschen Zeitung), weil es Hörfunk- und Fernsehdirektion so nicht mehr geben wird, aber niemand genau weiß, was es geben wird (Stand März 2019).

Mindesthonorare und Effektivhonorare

Wie stark sind die Mindestvergütungen binnen 20 Jahren gestiegen? Wie sehr haben die tatsächlich bezahlten Honorare damit Schritt gehalten?
Wer schon länger dabei ist, mag mal alte Verträge aus den Jahren 1990, 1995, 2000 oder 2005 herauskramen und sie mit der folgenden Auflistung vergleichen. Die Mindestvergütungen sind mit der jüngsten Tariferhöhung per Juni 2012 um folgende Prozentsätze gesteigert worden:
2012 gegenüber 1990 um 71,5 Prozent (79,2 Prozent incl. Nutzung im Internet)
gegenüber 1995 um 38,3 Prozent (44.5 Prozent incl. Internetnutzung)
gegenüber 2000 um 26,4 Prozent
gegenüber 2005 um 12,8 Prozent

2012: Na, sind eure effektiv gezahlten Honorare für die selben Leistungen in den letzten sieben Jahren um 12.8 Prozent gestiegen? In den letzten 12 Jahren um 26,4 Prozent? Wenn das der Fall ist, dann hat das gerade die Preissteigerungen in diesen Jahren kompensiert. (siehe Landesamt für Statistik, Index der Lebenshaltung) Doch in sehr vielen Fällen ist das nicht der Fall. Sehr viele Abteilungen des WDR haben systematisch ihre effektiv gezahlten Vergütungen eingefroren und die Tariferhöhungen nicht weitergegeben. Das konnten sie, weil sich die tariflichen Erhöhungen nur auf die Mindestbezahlung beziehen. Der Begleitbrief des Verwaltungsdirektors, doch „in der Regel” auch die Effektivvergütungen zu erhöhen, wurde als bloße Bitte zu den Akten gelegt. Mit dem neuen Direktor wurde es nicht besser. Der betonte nach Angaben von Gewerkschafterinnen gleich zu Beginn, dass ja nur die Mindesthonorare bei der Tariferhöhung gemeint seien.

Hinzu kommt: Die Mindestvergütungen sind schon seit 2005 nicht mehr stärker gestiegen als die Lebenshaltungskosten in NRW. Es ist schon lange her, Anfang der 1990er Jahre, da gab es einen starken Schub nach oben. Danach ging es verglichen mit den Lebenshaltungskosten nur langsam aufwärts. (CHECK aktuell)

Den Mitarbeiterinnen geht es heute schlechter als vor etlichen Jahren. Ein starkes Indiz dafür ist die Bezahlung für einen Typus von Hörfunkbericht, den es schon seit mindestens 40 Jahren gibt: Ein Hörfunkbeitrag in der Verbraucher-Reihe „Quintessenz” wurde im Jahr 1981 in der Regel mit genau 300 DM bezahlt (153,39 Euro), und es gab immer einen W-Vertrag, also 50 Prozent Wiederholungshonorar bei Übernahme durch einen anderen Sender. Und die Beiträge wurden tatsächlich wiederholt. Wären die Tariferhöhungen seit 1981 weitergegeben worden (102 Prozent waren es in 30 Jahren allein bis 2012, zur WDR-Dschungelbuch, 2. Auflage ), hätte der Quintessenz-Bericht Ende 2011 mit 309,55 Euro bezahlt werden müssen, also 36 Euro höher als 30 Jahre davor. Doch 2011 lag die Bezahlung für den Quintessenz-Bericht nur bei 272,60 Euro. Also 36 Euro niedriger.

Von 1981 bis 2011 sind die Preise in NRW um 76,3 Prozent gestiegen, das Effektivhonorar für einen Quintessenz-Beitrag um 77,7 Prozent. Also wären in den ganzen 30 Jahren gerade so eben die Preissteigerungen kompensiert worden. „Wären“ – doch die Wiederholungsvergütungen sind gestrichen, und anders als 1981 werden erheblich seltener Reisekosten erstattet. Die Anforderungen an und der Aufwand für einen Quintessenz-Bericht sind in der Zeit keineswegs gesunken – auch wenn dessen durchschnittliche Sendelänge vielleicht heute kürzer ist.

2011 gab es eine ganz neue Begründungsvariante, warum Erhöhungen der Effektivhonorare verweigert wurden: Man verwies darauf, dass die arbeitnehmerähnlichen Freien Mitarbeiterinnen ja eine tarifliche Einmalzahlung bekamen (550 Euro in 2011 und 400 Euro in 2012). Und die sei ja Ersatz für eine Erhöhung der Honorare zum vereinbarten Prozentsatz. Cool für die angestellten Chefinnen, die dieses Argument gebrauchten: Die Einmalzahlungen werden nicht von ihren Etats abgebucht. Das wird die Gewerkschaftsvertreterinnen für die Zukunft warnen. Sie hatten tatsächlich wegen der Misere, dass Tariferhöhungen nicht ankommen, Einmalzahlungen forciert. Aber wenn der Zusammenhang nun anders herum hergestellt wird….

Die tariflichen Einmalzahlungen für alle Freien Mitarbeiterinnen, die Urlaubsentgelt-Anspruch haben, waren bei den Empfängerinnen höchst willkommen. Endlich bemerkten sie mal unmittelbar segensreiche Folgen des Wirkens der Gewerkschaften. Aber Einmalzahlungen haben einen Nachteil: Sie sind nicht „tabellenwirksam”. Anders als prozentuale Erhöhungen steigern sie in der Zukunft nicht die Mindestvergütungen – mittelfristig verpuffen sie.
Bei Redaktionen, die die Tariferhöhungen nie weitergaben, ist es inzwischen so weit, dass die Mindesttarife auch die effektive Bezahlung widerspiegeln, also sind die Mindestvergütungen mit den Jahren bis auf die Höhe der Effektivvergütungen gestiegen.

Symptomatisch und bitter: Im selben Moment, wo dies passiert, wird bei Tariferhöhungen nach neuen Sparmöglichkeiten gesucht. So zum Beispiel bei der türkischen Redaktion im Radio, die ihren freien Autorinnen nur das Minimum zahlte – und „vergaß”, den Internetzuschlag drauf zu schlagen.
Dort, wo der Honorarrahmen rechtzeitig reformiert wurde, wie im Programmbereich IV, Regionales, ist die Basis dafür geschaffen, dass weitere Honorarsenkungen vermieden werden können – wenn die Freien darauf achten, dass ihre Leistungen korrekt eingestuft werden. Ein tarifvertraglicher Honorarrahmen plus Tarifsteigerungen, das ist die kollektive Seite. Sie funktioniert aber nur, wenn die Einzelnen mit Rückgrat die Chance nutzen, die sich daraus ergibt, und sich zusammentun. Das ist die Dialektik von individueller und kollektiver Macht und Ohnmacht.

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