Die Abnahme
Wenn ein Werk „abgenommen” ist, hat eine Urheberin ihre Leistung erbracht, und die Gegenleistung des WDR, die Bezahlung, ist fällig. „Abnahme” bedeutet, dass der WDR und die Freie sich einig sind, dass der Fernsehbericht, das Radiomanuskript oder auch das Internet-Special, in einem Zustand sind, der den vertraglichen Abmachungen entspricht.
Leider hat sich seit der ersten Auflage des WDR-Dschungelbuchs (2002) aber eher verschlimmert, was ich darin schon beklagt habe. Es gibt zwar viel Gerede über flache Hierarchien, zeitgemäßes Management, das Abgeben von Verantwortung nach unten. Aber im Zuge der auf die Spitze getriebenen Formatierung der Sendungen entwickeln die Chefinnen verstärkt das Bedürfnis, die Zügel noch enger anzuziehen, ohne dafür das ganze Rennen über den anstrengenden Job des Jockeys übernehmen zu müssen.
Das heißt, die leitende Redakteurin greift zu einem späten Zeitpunkt mit genauen Vorstellungen in den kreativen Prozess ein, ohne sich vor dem Start mit der Autorin verständigt zu haben. Das ist die eine Konstellation.
Eine weitere: Eine Redakteurin ist für den Einzelbeitrag zuständig, die andere für die gesamte Sendung des Tages. Und die zweite Redakteurin wird für die gesamte Sendung letztlich verantwortlich gemacht. Also folgt nach einer (Schein-) Abnahme durch die erste zuständige Redakteurin noch eine „Endabnahme”. Oder die Scheinabnahme wird gleich zur unverbindlichen „Ansicht” umbenannt. So schnell ist das, was schon ein anstrengendes Rennen war, in „Warmreiten” umdefiniert. Nach dem ersten Umschnitt verlangt dann die zweite Redakteurin weitere Änderungen an dem Werk.
In manchen Fernseh-Redaktionen ist dies verbreitet. Also lieber die erste Änderung gar nicht erst vollziehen, wenn die Autorin nicht von ihr überzeugt ist und gleich nach der Senderedakteurin telefonieren. Das ist durchaus möglich, und es verbessert das Standing der betreffenden Mitarbeiterin in der Redaktion. Wenn zwei Jockeys dasselbe Pferd reiten wollen, wird es irritiert und landet auf den hinteren Rängen.
Der Urhebertarifvertrag gibt den Autorinnen das Recht, zu verlangen, dass der WDR ihnen schriftlich gibt, was an einem Werk zu ändern ist.39 Nützlich ist in dem Zusammenhang, wenn schon vor der Produktion festgehalten wurde, wie das Werk auszusehen hat, zum Beispiel in einem Exposé, einem Treatment oder einer Auftragsbestätigung. Diese Angaben sollten laufend angepasst werden – und die Auftraggeberin sollte darüber informiert sein.
Wünsche für eine richtige Abnahme
Freie wünschen sich:
- klare Verantwortlichkeiten, wer die Arbeit abnimmt, und wann.
- klare Aussagen (und am besten eine verbindliche Vereinbarung) darüber, was geändert werden soll. Ansagen wie „Irgendwie gefällt mir diese Passage nicht, überlegen Sie sich bitte etwas anderes” helfen nur bedingt weiter.
- Respekt vor den Urheberinnen und Mitwirkenden und ihren Arbeitsweisen. Redakteurinnen sind sehr wichtig, aber sie sind nicht die Urheberinnen und können auch nicht per Abnahme dazu werden.
- Redakteurinnen sollten zwar im Vorhinein mit den Freien absprechen, wie ihr Werk in die Sendung passen könnte. Aber sie können nicht per Abnahme selbst im Nachhinein zu Urheberinnen werden. Und sie wissen nicht alles, bevor es recherchiert ist.
- Partnerinnen bei der Arbeit, die sich selbst Unsicherheit eingestehen, nochmal hinschauen und vielleicht sogar erst einmal über die Angelegenheit schlafen. Das kann besser sein als unsicheren Eindrücken durch die Verfertigung der Gedanken beim Sprechen40 eine zu große Bedeutung zu verleihen. Es sei denn, die Redakteurin hält es tatsächlich mit Kleist und sieht das ungesicherte Räsonnieren als einen gemeinsamen Akt des Überlegens mit offenem Ausgang, um zusammen mit der Freien Mitarbeiterin zu einem klaren Schluss zu gelangen.
Abnahmegespräche sind Stress-Situationen, auch für Redakteurinnen. Aber diese verschlimmern den Stress häufig selbst. Sie reden sich ein, sie müssten sofort und nach einmaligem Anschauen oder Anhören eine kluge Stellungnahme abgeben.
Manchmal wären die Autorinnen froh, es gäbe überhaupt eine Abnahme. Der fertig aufgenommene und geschnittene Hörfunkbeitrag schmort irgendwo auf den Turbo-Festplatten des Senders. Die Festplatten drehen und drehen sich, aber die Redakteurin kommt nicht dazu, ihn sich überhaupt anzuhören. Womöglich hatte das Werk ein Löschdatum. Wenn sie davon weiß, ruft sie alle zwei Wochen an, um zu verlängern. Das Geld kommt natürlich auch nicht.
Der Urhebertarifvertrag regelt solche Fälle eindeutig: Sechs Wochen nach der Ablieferung des Werkes kann die Freie schriftlich eine Nachfrist von zehn Tagen setzen. Danach gilt der Beitrag als abgenommen, wenn er nicht beanstandet wurde oder die Freie eine Fristverlängerung gewährt. Was passiert, wenn der Bericht gelöscht wird und die Redaktion vergessen hat, dass er abgeliefert wurde, weiß ich auch nicht. Also lieber frühzeitig eine Ausspielung auf einem Datenträger geben lassen. Gebrannte Kinder und vorsichtige Menschen berufen sich auf Punkt 8.2 des Urhebertarifvertrags und lassen sich eine Eingangsbestätigung geben. Vielleicht sollte man mal ein Formular dafür drucken. Es gibt so viele WDR-Formulare, da könnten die Freien Mitarbeiterinnen auch mal ein eigenes produzieren, das einem sinnvollen Zweck dient.
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